2.3 Analyse von Kulturunterschieden bzw. -gemeinsamkeiten
Um erfolgreich im Ausland studieren zu können, ist es zentral, den vorherrschenden Wissenschaftsstil sowie mit dem Lernen verbundene Wertvorstellungen zu kennen. Auch Lernmethoden und -formen können sich unterscheiden. Immer wieder gilt es an der Universität in interkulturell zusammengesetzten Teams zusammenzuarbeiten. Die Analyse von konkreten Fallbeispielen ermöglicht es, sowohl eigene Handlungs- und Denkmuster zu erkennen, als auch die Perspektive anderer einzunehmen.
Kulturunterschiede als Erwartungsunterschiede
Als „Kulturstandards“ oder „Kulturdimensionen“ werden Elemente bezeichnet, die für die Mehrheit einer Kultur bindend oder allgemein anerkannt sind. Sie ermöglichen Orientierung und Verhaltungssicherheit. Natürlich gelten sie aber nicht absolut, sondern in jeder Kultur gibt es auch Abweichungen von der Norm – man kann also nicht von der Kultur auf die Einzelperson schließen. Diese Elemente sind oft unbewusst, führen aber zu Missverständnissen und Konflikten.
Die folgenden sieben Fragen, geben Aufschluss über Ausrichtungen von Kulturen:
- Welche Bedeutung hat Zeit (monochron – polychron)?
- Wie wird kommuniziert (direkt – indirekt)?
- Welche Bedeutung haben Individuum und Gruppe (Ich-Kultur – Wir-Kultur)?
- Welche Rolle spielen Regeln und Vorschriften?
- Wie ist die Macht und Autorität verteilt?
- Welche Rolle spielen Alter und Geschlecht?
- Was ist Tabu? Wie spirituell ist eine Kultur?
Quelle: von Queis, Dietrich 2009: Interkulturelle Kompetenz: Praxisratgeber zum Umgang mit internationalen Studierenden, S. 34 ff.
Die KPSI-Methode
Kultur ist häufig nur einer von mehreren Einflussfaktoren auf die Kommunikation und das Verhalten von Menschen. In der KPSI-Methode versucht man, mit Fragen zu Kultur, Persönlichkeit, Situation und Institution zu klären, warum es zu bestimmten Interaktionen gekommen ist.
Hier eine Auswahl der Faktoren, die eine Rolle spielen können:
KULTUR: (unausgesprochene) Vorannahmen, Gewohnheiten, erwartete Rituale, Kommunikationsstile, Tabus, …
PERSÖNLICHKEIT: Lebenserfahrung, Charakter, Stimmungen & Emotionen, Rolle, Sympathien, Vorurteile, körperliche & psychische Verfassung, Fähigkeiten & Einschränkungen, …
SITUATION: Uhrzeit, Zeitdruck, Gerüche, Geräusche, Störungen, Ort, gibt es Zuschauer*innen? …
INSTITUTION: Gepflogenheiten, Vorschriften, Zuständigkeiten, Handlungsspielraum, Status, Hierarchien?
Quelle: Hiller, Gundula Gwenn 2016: Eine Frage der Perspektive: Critical Incidents aus Studentenwerken und Hochschulverwaltung. 30 Fallbeispiele aus der Praxis mit 93 interkulturellen Einschätzungen von Studierenden und Mitarbeitenden. Herausgeber: Deutsches Studentenwerk.
Beispiel: Gruppenarbeit (Diego)
Die folgende Situation erlebte ein chilenischer Student mit zwei deutschen Studierenden im Wintersemester 2009/2010 an einer deutschen Hochschule. Lesen Sie den Fall und analysieren Sie ihn mit der KPSI-Methode: Was hat zu der Irritation auf beiden Seiten geführt? Welche Rolle spielten hier Kulturunterschiede, die Persönlichkeiten der Beteiligten, die konkrete Situation und die Institution (Hochschule) in deren Kontext die Situation stattfindet? In welche der beiden Seiten können Sie sich persönlich besser einfühlen und warum?
Der chilenische Student Diego besucht während seines Auslandsstudiums an einer deutschen Universität ein Seminar, in dem er mit zwei deutschen Studenten zusammen ein Referat halten muss. Die beiden deutschen Studenten schlagen vor, sich zur Vorbereitung des Referates möglichst bald einmal zu treffen. Am verabredeten Tag erscheint der chilenische Student über eine halbe Stunde nach dem vereinbarten Zeitpunkt, da er in der Mensa viele interessante Menschen getroffen hat und dabei nicht bemerkt hat, wie die Zeit verging. Als er zum Treffpunkt kommt, ist nur noch einer der Kommilitonen anwesend. Dieser erklärt Diego recht kurz angebunden und offensichtlich verärgert, dass er jetzt auch gehen müsse, da er noch eine andere Verabredung habe, und dass der andere Kommilitone bereits gegangen sei. Sie hätten eine Gliederung erarbeitet und das Referat aufgeteilt. Der deutsche Student überreicht Diego die entsprechenden Unterlagen und verabschiedet sich schnell. Diego ist erstaunt, dass das Treffen so schnell beendet ist und die deutschen Studenten offensichtlich nur eine knappe Stunde dafür eingeplant hatten.
Quelle: MUMIS-Projekt der Universität Kassel, der Universität Siegen und der Universität Hamburg, www.uni-kassel.de/mumis/www.mumis-projekt.de/mumis/index.php/critical-incidents.html (Nummer des Falls: C 19)
Beispiel: Unterschiedliche Lernkulturen (Kim)
Welche Lernformen haben Sie in Ihrem Studium bereits kennengelernt (Vorlesung bzw. Vortrag, Präsentation, Diskussion, Übungen, Gruppenarbeit, …)? Schauen Sie sich das Video an und notieren Sie in eigenen Worten, welche Sichtweise der Dozent hat und welche Sicht Kim hat.
Wie könnten die beiden sich gegenseitig erzählen, was Ihre Erwartung ist? Schreiben Sie erst eine Kurznachricht aus Sicht des Dozenten, im Anschluss Kurznachricht aus Sicht von Kim.
Quelle: https://www.videoportal.uni-freiburg.de/video/Critical-Incident-Kim-/ff36adb3385b226ade558e54d9
Beispiel: Studentisches Zusammenleben (Sabine)
Die folgende Situation erlebte Sabine in ihrer interkulturellen WG im Wintersemester 2006/2007 an einer deutschen Hochschule. Lesen Sie den Fall und analysieren Sie ihn mit der KPSI-Methode: Was hat zu der Irritation auf beiden Seiten geführt? Welche Rolle spielten hier Kulturunterschiede, die Persönlichkeiten der Beteiligten und die konkrete Situation? In welche der beiden Seiten können Sie sich persönlich besser einfühlen und warum?
Sabine, eine deutsche Studentin der Anglistik, wohnt mit einer amerikanischen und zwei chinesischen Studentinnen zusammen in einer WG. Die vier jungen Frauen verstehen sich gut, nur wegen des Aufräumens und Putzens kommt es häufig zu Problemen. Sabine und die Amerikanerin ärgern sich, dass die Chinesinnen sich ihrer Meinung nach nicht genauso intensiv an dieser gemeinsamen Aufgabe beteiligen wie sie selbst, obwohl sie das Thema schon mehrfach angesprochen haben. Schließlich stellt Sabine einen Putzplan auf. Er wird gemeinsam besprochen und alle vier erklären sich damit einverstanden. Trotzdem halten sich die Chinesinnen nicht an den Plan und ziehen sich nach dem Gespräch deutlich von den anderen beiden zurück. Da platzt Sabine der Kragen und es kommt zu einem Streit, bei dem Sabine sehr deutlich und laut wird. Die chinesischen Studentinnen erwidern nichts und fangen beide an zu weinen, was Sabine ziemlich ratlos macht. Nach einer langen tränenreichen Aussprache wird der WG‐Friede wieder hergestellt, und von da an beteiligen sich auch die beiden Chinesinnen am Aufräumen und Putzen der gemeinsamen Wohnung. Dennoch bleiben sie Sabine gegenüber von nun an sehr zurückhaltend.
Quelle: MUMIS-Projekt der Universität Kassel, der Universität Siegen und der Universität Hamburg, www.uni-kassel.de/mumis/www.mumis-projekt.de/mumis/index.php/critical-incidents.html (Nummer des Falls: D 56)
Podcastprojekt „Akademischer Kulturschock – Reflexion unterschiedlicher Hochschulkulturen anhand eigener Erfahrungen im MINT-Studium“
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